Wie man die obere Rathausuhr liest

Uhr-Rathaus-Görlitz
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Am Görlitzer Rathaus hängen 2 Uhren. Auf der Oberen stimmt immer die Zeit nicht. Es ist nämlich gar nicht kurz nach halb 5, wie es auf dem Bild zunächst erst einmal scheint. Aber wackeln tut die Uhr ja doch. Also wie liest man das Ding?

Sie hat ein Ziffernblatt mit 24 Stunden, statt 12. Der große Zeiger zeigt die Stunden. Und dort steigt ein Mensch im Jahre 2015 gedanklich aus. Keine Minuten? Nur Stunden? Mit wem will man da meckern, wenn er 5 Minuten zu spät ist? Wie kann man da auf einen Termin pochen? „Gar nicht“ ist die Antwort. Als die Uhr im Jahr 1524 angebracht wurde, ging es um keine Minuten. Man traf sich in der 13 Stunde und das klappte auch. Die Menschen vertrauten vermutlich ein bisschen mehr darauf, dass automatisch klappt, was vorgesehen ist. Ach hätte Bartholomäus Scultetus doch nur nicht im Jahr 1584 die 2x 12 Stunden Taktung mit 60 Minuten anbringen lassen. Seit dem erhöhen die Minuten den Pulsschlag der Zeit und lassen den Blutdruck steigen. Ein Termin „Irgendwie in der 13. Stunde“ war eben deutlich entspannter, wie „Punkt 13 Uhr“. Und nachdem man das jetzt weiß, liest es sich ganz leicht ab. Auf dem Foto ist es tatsächlich kurz nach 13 Uhr.

Aber was macht der zweite, kleine Zeiger? Nun, der zeigt die Mondphasen. Na so ein Quatsch, denkt sich da wieder der Mensch im Jahr 2015. Eine Uhr, nur damit man weiß, wann man im Monat wegen Vollmond nicht schlafen kann? Die Menschen im 16. Jahrhundert lebten ein wenig natürlicher und mehr im Rhythmus der Natur. Der Mond gab (und gäbe es auch heute noch) Auskunft über beste Zeitpunkte in Landwirtschaft, Tierhaltung, Forstwirtschaft, für die Schönheitspflege und wichtige jahreszeitliche Feste. Ein kurzer Blick auf diese Uhr und alles war klar: „In 3 Tagen könnte die Kuh kalben und zum Frisör muss ich auch noch.“ Wir glotzen heute eher wie ein Rindvieh auf dieses Uhrwerk. Aber, mit diesem Wissen gelingt auch heute abzulesen: Das Foto entstand so 2-3 Tage vor dem (letzten) Vollmond. Google sei dank kriegt man heute schnell raus: Das war am 3. Januar 2015 und tatsächlich, das stimmt.

Die innere Zahlenreihe von 1 – 30 hat heute keine Bewandnis mehr. Einst waren es die Tage des Monats. Scultetus hatte die Einführung des gregorianischen Kalenders vorangetrieben (Monate mit 30 bzw 31 Tagen, Jahre mit 365 Tagen, Schaltjahre). Zuvor gab es immer ein bisschen Schwierigkeiten mit 30-Tage-Monaten. Nach ein paar Jahren musste regelmäßig korrigiert werden.
1742 zerstörte ein Blitzeinschlag den oberen Teil des Turmes. Die Jahreszahl 1743 auf dem Ziffernblatt hat mit dem Wiederaufbau und der Anbringung der Uhren auf der Marktseite zu tun.

Jetzt sage noch einer, diese Uhr sei doof, wo sie doch eine total entspannte Uhrzeit anzeigt, dazu einen integrierten Kalender besitzt und bis heute tadellos funktioniert.
Ein Beitrag vom 17.1.2015

Leben ohne Minuten

Fühlt mal tief rein, was 1584 die Taktung in 60 Minuten-Intervallen mit der Menschheit gemacht hat. Knappe 500 Jahre später will man wiedermal „an der Uhr drehen“ in der Diskussion um die Sommerzeit.
Ein Beitrag vom 16.8.2018

Eure schönen Kommentare

“ Scultetus war ein Genie. An der Ratsapotheke hängt auch etwas Interessantes. „

“ Danke für den Beitrag … sehr interessant …👏🏻 „

“ Wieder was gelernt.👍👍👍 „

“ ich find die einfach nur geil! „

“ Mein Görlitz lob ich mir, entspannte Zeit für Meckerer inbegriffen! „

“ Ich finde es toll geschrieben und Fragen wir doch einfach mal drauf los. Wer hier in Görlitz hätte das überhaupt gewusst, was die Uhr da anzeigt ??
Ich glaube so viele wären es nicht gewesen. 😉 „
> “ Sagen wir mal so: ich habe mir als Ur-Görlitzer nie Gedanken darüber gemacht. Ich war auch erst mit 50 das erste mal im Heiligen Grab. Wie das so ist mit dem Propheten im eigenen Lande…😉 „

“ Sehr interessant! „

“ So ein kluger und dem Volksmund herrlich nach dem Mund geschriebener Artikel. Danke, Insider. „

“ In den Görlitzer Sagen ist alles gut 😊 beschrieben … ich hab noch alle Bücher … und liebe sie heute noch 👍 „

“ Toller Artikel und super Bild. „

“ Haben wir in der Schule im Heimatkundeunterrricht gelernt. Da waren wir viel in der Stadt unterwegs. „


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