Es war einer meiner Ausflüge 2018 in den zweiten Teil meiner Stadt Görlitz. Sie wurde im Mai 1945 halbiert durch eine Landesgrenze. Ich war es leid, mich nur im Halbkreis zu bewegen. Ich war es leid, keine Ortskenntnis zu haben – obwohl alles östlich der Neiße 874 Jahre zu meiner Stadt gehörte. Ich war es leid, einen wesentlichen Teil meiner Stadtgeschichte noch länger auszublenden. Also ging ich auf Entdeckungstour nach Moys…
Anreise
Per Zug
Dies ist kostenlos mit dem Zug zwischen Görlitz und Zgorzelec möglich.
Bisher hab ich für das Stückchen nie ein Ticket bekommen, um Euch das mal zu zeigen. Vor Weihnachten hat es mal geklappt. Man kann also in Görlitz am Bahnhof einsteigen, tuckert über den Viadukt und hüpft in Moys am Bahnhof (Ujazd Zgorzelec) wieder raus. Und nach einer halben bis dreivirtel Stunde gehts wieder zurück. So lange kann man sich ja Moys angucken – oder über die Stadtbrücke zurück spazieren.
Seit Februar 2018 ist das möglich.
Und wieso sich so eine Zugüberfahrt über den Görlitzer Viadukt so lohnt, hab ich hier festgehalten:
Mit dem Fahrrad oder zu Fuß.
Es ist eine der schönsten Strecken entlang der Neiße auf der Ostseite. Es beginnt über die Stadtbrücke und vorbei an den Villen von Herrn Straßburg und Co auf der alten Viktoriastraße (Rondo Wolności). Unterhalb der Ruhmeshalle hinab ans Ufer in den hübsch gestalteten Brückenpark. Weiter zum Wehr an der Obermühle und dem Viadukt. Dort entweder unten am Fluß entlang zum Auslauf des Rothwassers in die Neiße. Oder oben an der Gartensparte entlang, vorbei an der alten Felsenkanzel (historisches Foto) und durch das Jägerwäldchen (historische Fotos) mit seinen Schießbahnen der Görlitzer Schützen bis 1945. Dann jedenfalls durch den Rothwasserpark. Und so gelangt man ganz und gar im Grünen bis Moys.
Nur dieses Wegstück ist aus historischer Sicht so intensiv, dass man sich extra Zeit nehmen sollte.
Ein paar Fotos von dieser Wegstrecke sind in diesem Beitrag mit drin.
Mit dem Auto.
Da einfach über die Stadtbrücke, am ersten Kreisverkehr rechts auf die Daszyńskiego. Über den Jakob-Böhme-Kreisverkehr gerade aus auf die Warszawska. Und dann nur noch gerade aus an Orlen-Tankstelle und Schwimmbad vorbei. Hinter den Bahnüberführungen beginnt Moys.
Es ist so erschreckend nah und es ist so sehr Teil des alten Görlitz, dass es verwundert, dass man keine Orts- und Geschichtskenntnis besitzt.
Per Straßenbahn – vorerst eingestellt
Hier eine Anreisemöglichkeit, die der Krieg 1945 unmöglich machte.
Ab 1897 (!!!) fuhr die Straßenbahn vom Demi zur Stadthalle, über die Stadtbrücke und weiter bis zum „Stadt Prag“ (historische Fotos). Im Jahr 1900 erhielt die Linie ihre Verlängerung bis zur Endhaltestelle „Moys Am Rothwasser“. Nach 48 Jahren endete die Straßenbahngeschichte durch Zgorzelec bis Moys.
Aber: Dieses Thema ist keinesfalls vom Tisch! Ein Gleis liegt bereits zwischen Post und C&A. Es ist der Anfang und damit die Option zur Wiederinbetriebnahme der Linie Görlitz ~ Zgorzelec. Zum Beitrag.
Anmerkung: Der Bus nach Zgorzelec fährt derzeit (2025) nicht in die Richtung Moys.
Auf Entdeckungsreise in Moys
Zur Geschichte:
Moys war ein Görlitzer Vorort, der 1929 nach Görlitz eingemeindet wurde. Im westlichen Teil der Stadt kamen erst 1949 Weinhübel und Klingewalde dazu. Gefolgt von 1952 Biesnitz. 1994 dann Deutsch Ossig, Hagenwerder, Tauchritz und Schlauroth. Kein Vorort gehörte so zeitig zu Görlitz, wie Moys.
Viele Jahre zuvor hatte sich Moys schon in Richtung Stadt entwickelt. Dazu trugen die Zug und Straßenbahnverbindung bei, viele Fabriken, bald auch eine Kirche. Bei der Eingemeindung hatte Moys 2.752 Einwohner. 1945 fiel es durch die Grenzziehung zu Polen und bekam den Namen Ujazd. Die Spuren der Görlitzer Vergangenheit sind dennoch überall zu sehen. Ich schau sie mir gern mit Euch gemeinsam an:
Der Bahnhof
Fährt man mit dem Zug von Görlitz über den Viadukt, landet man am Bahnhof Moys. Mit dem Bau des Viaduktes 1847 wurde Zug fahren Richtung Osten möglich. Der Bahnhof entstand ebenfalls 1847(!!!). Am Moyser Bahnhof gabeln sich die Strecken. Er liegt dazwischen, das macht ihn zum Keilbahnhof. Der eine Schienenstrang geht nach Norden ab, Richtung Kohlfurt (Wegliniec). In der Weiterfahrt geht es hier nach Grünberg (Zielona Gora) seit Dezember 2017. Auf dem zweiten Schienenstrang kommt man Richtung Osten nach Hirschberg (Jelenia Góra) und Breslau (Wroclaw). Insgesamt 32 Züge verkehren so tgl zwischen Görlitz und Polen.
Der Bahnhof wurde 2018 saniert. Seit seiner Fertigstellung ist er der modernste, behindertengerechte Bahnhof der Region.
Die Gleise trennen in der Oststadt recht deutlich Zgorzelec im Norden von Ujazd/Moys im Süden.
Wir kennen das von Görlitz. Hier trennen die Gleise die Innenstadt von der Südstadt (Jakobstunnel, Brautwiesentunnel) bzw die Innenstadt von Rauschwalde (Tunnel).
Der Wasserturm
1911 wurde er errichtet zur Versorgung der Ortschaft mit Trinkwasser. Schon in den 20ern reichte der Turm nicht mehr aus und Moys wurde ans Görlitzer Wasserwerk angeschlossen.
Bis 1945 versorgte der Wasserturm allerdings noch die Kofferfabrik Arnade mit Wasser. Heute ist er ein baufälliges Zeitdokument.
Ort: Im Hof der Moyser Str (Ul. Baczynskiego) und Johanneskirchstraße (Ul. Swietego Jana), unweit des Bahnhofs.
Die Johanniskirche
Moys hatte lange Zeit keine eigene Kirche. Die Gläubigen besuchten die Dreifaltigkeitskirche und die Peterskirche. (Hier merkt man die enge Verbindung zur Stadt Görlitz von alters her.) In den Wintermonaten kamen Geistliche der Peterskirche nach Moys. Dann war Gottesdienst in der alten Schule oder im Gasthof.
Erst 1899 gründete sich ein Kirchenbauverein mit dem Ziel, eine Moyser Kirche zu errichten. Herr Arnade (Kofferfabrik) schenkte dem Verein ein Grundstück. Eine Witwe stiftete 10.000 Mark. So kam es 1905 zur Grundsteinlegung. Zwei Jahre später, am 15. Mai 1907 war Kirchweihe, die einem Volksfest ähnelte (historisches Foto). Die Glockenweihe war im September des selben Jahres.
Die Kirche befindet sich auf der Ecke Johanneskirchstraße/Julius-Arnade-Str. Heute ist es die „Römisch-katholische Kirche pw. St. Johannes der Täufer“ (Kościół Rzymskokatolicki pw. św. Jana Chrzciciela) auf der Świętego Jana > Grunwaldzka. Die Julius-Arnade Straße ist so heute nicht mehr existent.
Die Kofferfabrik Arnade
Mehrere Industrielle siedelten ihren Firmensitz in diesem Görlitzer Vorort an. Einer der bekanntesten Vertreter ist Julius Arnade (1844-1915). 1872 startete der damals 28 Jährige seine Lederzeug- und Kofferfabrik auf der Peterstraße. Zunächst hatte er 10 Mitarbeiter. Dort kam es 1876 zu einem Brand. Das nutze Herr Arnade, um in Moys das Unternehmen neu und größer aufzubauen. Nun produzierte er Koffer aller Art, Reise- und Schultaschen, Rucksäcke. Die Gründerzeit und die beginnenden Reisemöglichkeiten der Menschen, ließen sein Geschäft florieren. In seinen besten Zeiten hatte das Unternehmen 300 Mitarbeiter (historisches Foto). Herr Julius Arnade war zudem Stadtverordneter und wurde zum Königlichen Kommerzienrat ernannt. Sein Sohn Paul Arnade (1874-1942) führte das Geschäft des Vaters dann fort. 1936 schlossen die Nazis die Fabrik der jüdischen Familie.
Ort: ul. Grunwaldzka, früher Julius-Arnade-Straße.
Der Firmensitz in Moys ist heute kaum noch jemand bekannt. Wohl aber seine Villa in der Holteistraße, direkt neben der Parkeisenbahn, die 1916 erbaut wurde. Sie verfällt seit Jahrzehnten.
Tuchfabrik Raupach bzw Adler
Ein weiterer Name, der uns Görlitzern bekannt ist, ist Raupach. Auch diese Familie hatte eine Fabrik in Moys. Seit einigen Jahren wabbern Gerüchte zu unterirdischen Tunnel, die in Moys begangen wurden. Sie sollen die Landskronbrauerei und die Ruhmeshalle mit der Tuchfabrik von Max Raupach in Moys verbinden. Da unten gab es wohl eine unterirdische Fabrik, in der Stalag VIII A Gefangene arbeiten mussten (mutmaßliches historisches Foto). Das wirbelt die ganze Geschichtsschreibung durcheinander. Ich hab es versucht zusammenzufassen, hier:
Foto: Einstieg Ul. Raymonta 31
Görlitzer Architektur
Die Häuser und Villen in Moys erscheinen sofort vertraut. Ohne weiteres könnte man sie nach Weinhübel auf die Zittauer Straße versetzen oder auf die Goethestraße und sie würden sich hervorragend einpassen. Geschlossene, drückende Gründerzeitquartiere, wie in Innenstadt oder Südstadt findet man nicht. Die lockere Bebauung tut gut. Durch das Höhenprofil der Ortschaft erinnern die Straßenzüge auch ein bisschen an Zittau (Bereich Eisenbahnstraße und alle abgehenden Bergstraßen). Zum spazieren, gucken und genießen durchaus geeignet.
Natürlich hat sich der Vorort seit 1945 weiter entwickelt. Inzwischen gibt es Wohnsiedlungen, die stehen Biesnitz oder den neuen Siedlungen auf den Dörfern im Görlitz Umland in nichts nach in Sachen Schick und Prunk. Die historische Bebauung wurde auch modifiziert. Eine solch auffällige Aufstockung ist schon eigenartig – aber nicht ungewöhnlich. Viele Gründerzeithäuser auf der Görlitzer Seite sind ebenfalls aufgestockt worden, nur etwas formschöner.
Fortsetzung folgt…
Das waren der Bahnhof, der Wasserturm, die Kirche und Industriestandorte, sowie Eingemeindung und Anbindung ans Straßenbahnnetz und ein paar hübsche Häuschen. Alles Beiträge von 2018 – 2025.
Teil 2 beinhaltet: Deutsche Gräber in Moys, der Winterfeldkaserne, der Schlacht von Moys, das Stalag VIII A sowie Tipps zur Ahnenforschung. Hier zu lesen.
Demnächst geht es weiter mit: dem Schloss Moys und der edlen Spenderin des Rothwasserparks, sowie dem Ausbau der Rotwasserlagune, das ehemalige Schwimmbad, den Seniorenverein. Es werden also drei Beiträge zu Moys. Es gibt einfach viel zu erzählen und zu entdecken in dem kleinen Vorort.
Eure schönen Kommentare
„Mein Opa hatte in Moys vor dem 2. WK ein Klempner und Installateur Geschäft. Leider wissen wir nicht mehr, wo genau.“
„Meine Familie kommt aus Moys.“
„Tolle Häuser. Sofort habe ich über Görlitz nachgedacht“
„Eine Stadt halt…. Ich wünschte nur beide Seiten der“Obrigkeiten“ würden sich mehr bemühen um mehr zusammenwachsen zu lassen was zusammengehört ……in einer Europastadt!“
> „Das soll von Oben kommen? Ich glaube, es ist alles gegeben, um sich hüben wie drüben frei zu bewegen. Die Grenzen sind offen, historische und neue Stadtpläne gibts in Fülle, die Datenbanken sind voll d/pl-Veranstaltungen, diverse Programme übersetzen alles. Muss das nicht vielleicht aus jedem Einzelnen heraus kommen, es auch zu nutzen?“
> „Echte Verbindungen wachsen aus dem Herzen aller, und Behörden können nur dazu beitragen, dass Rahmenbedingungen solche Verbindungen unterstützen können. Ich denke, dass beide Seiten – sowohl polnische als auch deutsche – viel dafür tun, dass dies möglich ist. Dafür bin ich gegen die erste Aussage, dass nicht genug passiert. Ich bin voll im Einklang mit dem, was geantwortet wurde. Echte Kontakte wachsen aus dem Herzen eines jeden Einzelnen, die Kommunalpolitiker oder die „Anderen“ können nur dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen eine solche Entwicklung fördern und ihnen nicht im Weg stehen. Ich denke, dass beide Seiten – sowohl die polnischen als auch die Deutschen – viel dafür tun, dass dies genauso geschieht. Deshalb klare Unstimmigkeit mit dem, was hier bemängelt wurde!“
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