Ein neues Haus ist aus der Baurüstung heraus und erzeugt viele Fragezeichen bei den Görlitzern. Ich will daher ein bisschen was sagen zu „historisierenden Neubauten“, zu Stahl-Beton-Glaskästen in historischen Altstädten und zu gelingenden Sanierungen auch 2024.
Der Lückenschluss im Obersteinweg
1994 ist an gleicher Stelle ein Haus abgetragen worden, weil es einsturzgefährdet war. Es war ein spätklassizistisches Wohnhaus gewesen. Seit dem war es eine Brachfläche, da die Kellergeschosse im Erdboden verblieben waren.
Voraussetzung für die Baugenehmigung des Lückenschluss jetzt war, dass „sich das Vorhaben in die nähere Umgebung einfügt – was hier der Fall ist“, sagt Hartmut Wilke vom Amt für Stadtentwicklung.
Quelle: SZ vom 28.01.2023 (da gehts noch „irritierend“ weiter)
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Historisierende Neubauten
Auf dem nächsten Foto sehen wir die Altstadt von Breslau, genauer gesagt den Ring. Also den Rynek in Wroclaw. Alles was wir sehen sind Neubauten. Kein einziges dieser Gebäude ist historisch, aber alle sehen so aus.
Ich erzähle Euch kurz die Geschichte dazu, denn es passt zum „Lückenschluss auf dem Obersteinweg“.
1945, Januar/Februar, Breslau wird zur Festung erklärt. 75 % der Bevölkerung (620.976 Menschen!) fliehen und kommen großteils unterwegs um. Ein wahnsinniger Gauleiter nahmens Hanke lässt die Altstadt abreißen und errichtet eine Start- und Landebahn in der Altstadt. Das einzige Flugzeug, was je diese Bahn benutzt hat, war das mit den Gauleiter drin, um ihm seinen Arsch zu retten. 2 Tage vor Kriegsende finden nochmals 33.000 Menschen ihren Tod bei den Straßenschlachten in Breslau. Insgesamt fallen dem Wahnsinn 400 Baudenkmäler zum Opfer. Das hat mich damals so erschüttert, wie ich es auf einer deutschen Stadtführung erfuhr, dass es sich mir fest ins Gehirn gebrannt hat.
Aufgebaut haben es danach nicht etwa Deutsche, sondern Polen historiersierend. Also alles neu, nur eben die Fassade auf „Alt“ gemacht. Und so sieht Breslau heute vielfach aus, wie damals, ist aber neu und schick Innen. Sowas kann man online nachlesen oder man macht vor Ort mal eine (deutsche) Stadtführung mit.
Ein Kommentator wusste noch: „Breslau ist nur ein Beispiel von vielen in Polen. In Polen entwickelte sich dafür eine einmalige Baubranche. Heute sind diese Spezialisten eine Rarität in der Welt.„
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Moderne in historischen Altstädten
Es ist nicht einfach für mich, die Schönheit und Ästhetik beim Bau gewohnt ist, wenn ich dann Ausflüge in Städte mache, die man „vergewaltigt“ hat. Ein für mich nur ganz schwer zu ertragender Zustand ist der in Lübeck. Glas, Beton, Parkhäuser – all das in der historischen Altstadt – warum auch immer. Wir kennen das vom Citycenter. Nur das in Lübeck in jeder Straße eins steht. Ich hab das mal auf den drei Fotos rot eingekringelt.
Ich war nach diesem Tag völlig verstört und brauchte erstmal Strand und Meer. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Was aber immer wirkt sind Baustoffe, Kanten, Linien, Brüche, Farben, Pflanzen. Das Feng Shui der Chinesen greift das auf. Städte „wirken“ auf uns ein, was offenbar nicht im Architektur- und Verwaltungsstudium vorkommt.
Ich bin dann eher der Typ Quedlinburg und Rothenburg ob der Tauber.
Es war ein sehr schönes Video, welches „Görlitz auf Ansichtskarten“ mal gefunden hatte. Darin hieß es (so erinnere ich mich zumindest): Kleine Kinder malen Häuser immer mit spitzem roten Dach, Tür und Fenstern. Sie würden Häuser nie als Neubaublock (aus Glas und Beton) malen. Es ist offenbar im Menschen nicht angelegt… Zum Video.
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Schöne Sanierung auch 2024
Wir haben dieses Jahr nun schon viel erlebt. Zunächst mit dem Schockmoment im Januar, als auf der Salomonstraße zwei Fassaden entkernt und verstümmelt aus dem Baugerüst kamen. Ich berichtete darüber in Teil 1 und Teil 2. Nun ein moderner Bau zwischen historischen Fassaden, der sich nicht mal Mühe gibt, Geschosshöhen oder Fensterreihen aufzugreifen oder sich farblich anzupassen, geschweige denn irgendwie auszusehen, wie sein Neoklassischer Vorgängerbau. Und das alles, während Entscheidungsträger voll Inbrunst sagen: „Das muss so sein!“
Bevor wir den Glauben an die Menschheit verlieren, hier eine gelungene Sanierungsleistung vom Schloss Ober Rengersdorf. Das 1900 und 1901 erbaute Schloss ist an Barock und Renaissance angelehnt. Erbaut wurde es von Julius von Roncador, dem „Edlen von Nornenfelsen“. Er sparte keinerlei Kosten und Mühen und so hat das Bauwerk an allen 4 Ecken runde Türme. Ihre gescheiften Hauben sind mit Kupfer bedeckt. Bekrönt wird das Gebäude von eine Mansardendach, dass auf der Ostseite in einem geschwungenen Giebel mündet. Dieser Schwung wird von einer halbrunden Loggia aufgegriffen im Erdgeschoss. Eine Freitreppe führt in den Garten.
Auch im Inneren wurde an nichts gespart. So führt der Eingang auf der Westseite in eine geräumige Halle, die von Pfeilern untergliedert wird und ein Kreuzgratgewölbe besitzt. Die Wände sind mit kostbarem Marmor verkleidet. Eine zweigeteilte Treppe führt ins Obergeschoss.
Julius von Roncardor starb 1922 und wurde im Hauseigenen Mausoleum beigesetzt. Schon 1919 vermachte er das Schloss seinem Sohn Heinz. Der verkaufte 1924 an einen Fabrikant aus Weißwasser, der es als Hochzeitsgeschenkt für seine Tochter samts adeligen Schwiegersohn erwarb. Der konnte jedoch 1936/37 das Schloss nicht mehr halten und so wurde es ein Müttergenesungsheim. Nach 1945 mit der Bodenreform wurde im Neuen Schloss eine Schule für die 1. bis 3. Klasse eingerichtet, sowie Schulhort und Kindergarten.
Ab 1992 stand das Gebäude leer. Weitere Eigentümer wurden entweder erschossen oder verkauften weiter. 2008 zeiget Hollywood Schauspieler Nicolas Cage Interesse, erwarb aber ein Schloss in Bayern. Erst 2014 kam wieder Bewegung hinein. Der Eigentümer soll eine schweizer Immobiliengesellschaft sein.
Und nun, 2024, ist es aus seinem Baugerüst gekommen und erstrahlt in leuchtendem warmen Gelb. Sehr viele Details wurden liebevoll restauriert. Nur die Nordseite ist noch nicht fertig.
Die Frohe Botschaft ist: Es ginge mit dem schönen und historisierend sanieren und bauen, wie uns das Beispiel aus Breslau oder Ober Rengersdorf zeigt. Und wir können vorspulen, was zu viel Glas-Beton-Stahl in Altstädten bedeutet, indem wir einfach andere Städte besuchen fahren – und fühlen!
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