Es ist Donnerstag, der 5. August 2010. In Görlitz findet das ViaThea Picknick im Stadtpark statt. Der Park ist voll, die Menschen entspannt. Zudem ist es das Wochenende mit dem Schulanfang. Dies sind die letzten trockenen Bilder…
Dann setzt Regen ein und hört (gefühlt) nie wieder auf.
Samstag, 7.8.2010
Kachelmanns Wetterarchiv sagt, am 7.8. sind es in Zittau, wo die Mandau in die Neiße fließt, 63 mm auf den Quadratmeter nach 12 Stunden (früh um 8 Uhr). Nach weiteren 12 Stunden nochmals 82 mm obendrauf, in Summe also 145 mm. In Görlitz selbst 37 mm in 24 Stunden.
Die Mandau in Zittau verlässt ihr Flussbett. Der Krystinasee schwabbt über den Damm. Beide gehen in die Neiße, die schwillt an. Ein Hochwasser der Stufe 4 entsteht nach einem Starkregenereignis. Dann jedoch weicht es den Damm am Witkastausee auf und er bricht in den Nachmittagsstunden des 7. August (ein Samstag), 6 km von Hagenwerder entfernt.
Es sind die Hagenwerder, die zuerst absaufen. Weil für dieses unerwartete Ereignis des Staudammbruchs eine Vorwarnung fehlt, erwischt es die Menschen nahezu unvorbereitet. Der MDR dreht später dazu eine Reportage (Video: 44 Minuten):
Die Welle rollt weiter, geht über die B99 und ergießt sich Großteils in den Berzdorfer See. Das ist vielleicht noch das Glück im Unglück für die Stadt Görlitz. Auch wenn es die neue Seestraße zerstört, den Görlitzer Strand ruiniert und den Zugverkehr nach Zittau auf Wochen lahm legt.
In Weinhübel alarmieren sich Anwohner gegenseitig, die Autos in höhergelegene Bereiche der Stadt zu schaffen: „Da kommt was“. Die Alteingesessenen verstehen die Welt nicht. Das hat es zu Lebzeiten nicht gegeben. Es wird später die Jahrhundertflut werden, höher wie Juli 1958 und Juli 1981. (Siehe die drei obersten Hochwassermarken an der Obermühle.)
In den Abendstunden drückt es das Wasser in Weinhübel durch die Gullis. Es erwischt weite Teile von Weinhübel und das Wasserwerk, die Obermühle, den Campus der Hochschule mit der Neißegrundschule, das Parkhotel, Uferstraße, die Vierradenmühle, die Anwohner Hotherstraße, das Hirschwinkel-Wohnheim und die Hirschwinkelturnhalle, Teile der Großen Wallstraße, die Yeti-Fabrik An der Tischbrücke. Im Norden auch die Anwohner der Dörfer von Görlitz. Der Pegel stieg bis auf 7,07 Meter. Normal haben wir 1,65 Meter.
Der Morgen danach, Sonntag 8.8.2010
Am nächsten Morgen werden Bewohner in Weinhübel mit Booten vom THW gerettet. Die Turnhalle an der Sattigstraße wird zum Auffanglager. Die B99 steht unter Wasser, Hagenwerder ist nur noch über Friedersdorf – Schönau Berzdorf erreichbar. An Obermühle und Uferstraße gucken von Autos, die niemand mehr geschafft hat umzuparken, nur noch die Dächer raus.
Hochwasser-Schaulustige gehen gucken. Ihnen verdanken wir die ersten Video-Aufnahmen (3:30 Min).
Erst am Sonntag Abend ist der Zugang zu vielen Häusern in Gummistiefeln wieder möglich. Diese sind ohne Strom und Gas, ohne Wasser, ohne Abwasser. In der folgenden Woche laufen die Pumpen und versuchen überall die Keller leer zu bekommen. Danach geht es ans Ausräumen. Die betroffenen Stadtteile sind eine Aneinanderreihung von Sperrmüllhaufen.
In den Jahren „danach“
Görlitz rüstet auf: Der Campus bekommt eine Flutschutzmauer. Die Kommunikation zwischen Meldestellen, Einsatzkräften und Zgorzelec wird verbessert. Yeti zieht um ins Gewerbegebiet, die alte Halle An der Tischbrücke wird abgerissen. Die Hirschwinkelturnhalle wird trockengelegt, ist jedoch nicht mehr für den Schulsport nutzbar. Mit dem bau einer neuen Mehrzweck-Sporthalle im Hof der Jägerkaserne löst sich für die Grundschüler der Nikolaischule im August 2019 das Problem mit dem Schulsport. Der Witka-Stausee bekommt eine neue Staumauer nach neuestem Stand der Technik.
Der Schock in den Gliedern… bis heute
Egal, mit wem man sich heute unterhält, allen damals Betroffenen sitzt seitdem ein Schreck in den Knochen. Träume von Überschwemmungen, Unruhe bei lang anhaltendem Regen, immer wieder Pegelstände checken – sicherheitshalber, immer wieder die Geschichte der Ereignisse im Kopf, der nachhaltig traurig machende Verlust zerstörter Erinnerungsstücke. Genau genommen ist das ein leichtes Trauma.
Wir alle haben seit dem keinen an der Klatsche, aber wir haben uns kollektiv erschreckt. Und das kann und sollte man auflösen! Dr. Johannes Letzel, Psychotraumatologe am Städtisches Klinikum Görlitz gGmbH, sagte es so schön in seinem Vortrag für die Bürger: „Aufklärung ist auch das, was ich mit dem Patienten mache. Da erkläre ich, das das, was er als Beschwerden erstmal angibt, per se nichts krankes, nichts verrücktes ist, sondern eine normale Reaktion der Seele und des Körpers auf dieses unnormale Ereignis.“ (Vortrag Min 27:02, zum Video)
Wenig später spricht er im Video den Ansatz der Traumatherapie an. Damit will ich ermuntern mal hinzublicken, ins eigene Innere, ob es nicht etwas aufzuräumen gäbe. Wir haben die Experten vor Ort und die Therapieansätze sind sehr human. Sie bedient sich Imaginationen, Körperübungen, Aromatherapie, Chi-Gong und einigem mehr.
Hier die Infos, wie man an eine solche Therapie ran kommt. Es war mehr, wie eine Sensationsmeldung in der Presse. Sondern es waren Menschen, Gefühle, Schicksale…
Ein Beitrag vom 7.7.2016, aktualisiert am 22.7.2019
Eure Kommentare
“ Es hatte auch die Obermühle in Görlitz betroffen und ein Chaos hinterlassen. Hier noch einmal ein Dankeschön an die vielen uneigennützigen Helfer in der Not! „
“ Schreckliche Zeit… in der man aber ganz viele tolle Menschen und positive Erfahrungen gemacht hat… Kann mich nur meinem Vorredner anschließen mit einem Danke an alle, die geholfen haben… „
“ Ich hatte dienst zwischen zi und gr … Letzte fahrt bevor die strecke so aus sah wie auf dem bild … Immer noch extrem unvorstellbar „
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