Eine letzte Tour dieser Art war im Juni 2021 nach Nieda am Witkastausee. Heut habe ich die Ausflüge ins östliche Umland von Görlitz wieder aufgenommen. Groß war der Landkreis Görlitz bis 1945. Ein Bruchteil davon habe ich mir bisher erst angesehen. Und so stand heute Schloss Lomnitz auf dem Plan. Ein 150 Seelendorf unweit von Radmeritz und Nieda.
Vorbereitung
Im Gepäck befinden sich die zwei Bücher:
„Schlösser der polnischen Oberlausitz“ von Lars Arne Danneberg und Matthias Donath.
Und „Jenseits der Neiße“ von Hans Schulz.
Dazu ein Navi für die Hosentasche.
Und noch ein paar alte Fotos vom „Gasthof Postillion“ und dem „Gerichtskretscham„. Kirche, Friedhof oder Schule hat der Ort nicht. Heute gehört der Ort in die Gemeinde Zgorzelec, bis 1945 in den Landkreis Görlitz.
Anreise
Google sagt, ab Bahnhof Görlitz sind es 19 km.
Ich entscheide mich für den Weg am See entlang durch hunderte 1. Mai-Ausflügler.
An unserem Erholungsparadies Berzdorfer See entlang…
Am Hafencafé mit seinem Leuchttürmchen vorbei…
Am Bagger 1452 vorbei…
Und zum Grenzübergang Radmeritz. Tschüss Deutschland.
Wer es selber besuchen will: Einfach nur gerade aus durch Radmeritz bis hoch zum Kreisverkehr.
Nun gibt es zwei Wege nach Lomnitz. Ich entscheide mich fürs Abenteuer und fahre am Kreisverkehr rechts Richtung Abzweig Witkastausee. Irgendwo davor links muss es für mich einen Weg geben…
Landeskrone, Kirche von Radmeritz und Jauernick-Buschbach sind noch zu sehen. Es kann gar nichts schief gehen.
Das da ist mein Weg nach Lomnitz. Auf ins Abenteuer…
Vom höchsten Punkt des Weges ist immer noch Jauernick-Buschbach und die Kirche von Radmeritz zu sehen.
Und in einem anderen Winkel sogar der Wasserturm am Neißebad und die Kreuzkirche. (Sieht man schlecht)
Und die Landeskrone ist sowieso immer da. Hier auf einem (Weitwinkel)Foto zusammen mit den Dächern von Schloss Lomnitz.
Warum betone ich das so und quäl Euch mit schlechten Fotos, wo man nur ganz klein irgendwas erahnen kann? Nun, es zeigt, wie Nah der bekannten Heimat die Orte liegen, die seit 1945 in die Vergessenheit gerutscht sind. Und letztlich auch, das wir sie von Jauernick-Buschbach, dem Turm am Berzdorfer See, der Kreuzkirche oder der Landeskrone aus sehen könnten – wenn wir nur wüssten, wohin die Augen blicken sollen.
Wir blicken ins „Nichts“. Ins grüne Feld-Wald-Hügelige Nichts. Die Augen haben seit 1945, seit 4 Generationen also mindestens gelernt, nichts mehr zu sehen. Noch bis 1945 war Lomnitz auf der Wanderstrecke von Köslitz über Wendisch-Ossig nach Radmeritz und weiter nach Seidenberg, weiß Hans Schulz in seinem Buch. Das zu wandern fällt heute niemand mehr ein… Noch nicht!
Aus der Geschichte von Lomnitz
Die Ortschaft wird 1452 erstmals urkundlich erwähnt. Übersetzt heißt das Bruchort, also Steinbruch oder auch Windbruch. Bis 1945 haben wir es also mit 493 Jahren deutscher Geschichte zu tun und seit 1945 mit (derzeit) 78 Jahren polnischer Besiedlung.
Ich bin Karolina Kuszyk sehr dankbar für ihr Buch „In den Häusern der anderen“ (2022). Wenn Deutsche von den verlorenen Ostgebieten sprechen, sind sie sofort idiologisch abgestempelt als Nazis. (Statt als historisch Interessierte!).
Karolina Kuszyk hat eine Tür aufgestoßen. Seit ihrem Buch sprechen Polen selber darüber, wie es in 3. und 4. Generation nach 1945 ist, in Häusern zu leben, die einem nicht gehören. In Baustilen und Bauarten, die man in Ostpolen nicht kannte. In preußischer Ordnung und solidem, perfekt durchdachten Städten, was völlig unbekannt war. Wie man damit umgeht, wenn man nicht weiß, ob man wieder gehen muss. Wie es ist, wenn man fürchtet, die Deutschen kommen zurück. Und wie es war, alles Deutsche zu zerkloppen.
Karolina Kuszyk ist nicht Nazi, wenn sie diese Daten sammelt, sondern Türöffnerin. Ein über 70 Jahre altes Tabuthema kommt mit ihr zur Sprache. Meine dringende Leseempfehlung. Ich habe 3x in ihrer Lesung geweint. Und genau das ist der Beginn von Heilung einer geopolitischen Wunde, für die die Menschen, die Einwohner, die Vertriebenen nichts konnten. Ebenso empfinde ich meine Ausflüge zu den Wurzeln der Geschichte unserer Region – und das AUCH und GANZ BESONDERS in den Osten.
Schloss Lomnitz bei Görlitz
Die nennenswerte Geschichte von Lomnitz bei Görlitz knüpft sich an die Geschichte des Schlosses.
Das Gut wechselte oft den Besitzer. Bekannt sein dürften die Familien von Gersdorff und von Salza sowie von Nostitz. Alles namenhafte Adelsgeschlechter der Region. Auch die Herren Eberhard, Kyam und Boblitz saßen auf Schloss Lomnitz, alle samt immer nur ein oder zwei Generationen. (Ganz ehrlich: Da ist aber auch so gar nichts drum rum…).
Wie das Schloss zu Beginn aussah, weiß keiner so recht. Bekannt ist nur, dass es 1728 von Friedrich Hertwig Graf von Nostitz an Johann Georg Gottfried Edlen von Seidel ging. Und dem fakelte es 1739 bei einem Kaminbrand ab.
Ab 1740 lies der Herr von Seidel einen Neubau errichten – das, was wir in der Grundform heute sehen könn(t)en. Seidel starb 1750. Dann ging es an einen Zittauer Kaufmann (1750), dann an dessen Enkel (1773) – ich spule mal bisschen vor, denn wir wollen – (1844) zu Maria Freifrau von Schimmelpfenning von der Oye, geborene Oppenheimer.
Der Mord und das Mausoleum
Der Mann von Frau Schimmelpfenning starb 1849. Ihm zu Ehren errichtete sie im angrenzenden Schlosspark (aus dem 19 Jhd) ein Mausoleum. Frau Schimmelpfenning verfügte, dass der Besitz (also Gut, Park, Mausoleum) immer nur zusammen veräußert werden können. Wer das Schloss kauft, bekommt die Gruft dazu. So ist das bis heute geregelt!!!
Und dann passierte es: In der Nacht vom 8. zum 9. Oktober 1852 wird die Witwe in ihrem Bett erstickt von einer Diebesbande, die es auf Geld und Wertsachen abgesehen hatten. Furchtbar! Die Mörder stammen aus dem Ort selber. Auf die Schliche kam man ihnen, da einer seinen „Fußlappen“ verloren hatte. (Das war ein um den Fuß gewickelter Stoff, den man in Stiefeln trug, um sich nicht wund zu scheuern). Die Mörderbande wurde zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt. Und Frau Schimmelpfenning zog zu ihrem Gatten in die Gruft.
Geschichte ist so spannend. Lokalgeschichte nochmal doppelt, denn man kann hinfahren und es sich angucken….
Das Schloss heute
Ich war eigentlich bei der Anfahrt…
Mein gewählter Weg geht zu den Bahngleisen der alten Zugverbindung Görlitz – Seidenberg. Es gab sogar eine Bahnstation Lomnitz, die später wegen Bedarfsmangel aufgehoben wurde.
Und dann sehe ich schon das Elend, vor dem mich die Bücher gewarnt haben: „Gewaltige Scheunen und Ställe, Tormauern, Zinnen. Jedoch Tore und Fenster fehlen, die Dächer haben Löcher.“ Na inzwischen fehlen sie ganz.
Hier eine Detailansicht.
Eine Erklärtafel vor dem Schloss lädt mich „Touristin“ eigentlich ein… und zeigt den alten Glanz des Schlosses, den man auch hier angucken kann.
Auch der erste Anblick in der Zufahrt ist jämmerlich.
Und dann endet mein Ausflug, denn zwei Hunde stürzen sich kläffen und schnappend(!) auf mich. Nur unter tosendem Gebrüll kann ihr Besitzer sie bändigen. Mein erleichtertes „Dziękuję!“ ignoriert er und so frage ich gar nicht erst, ob ich das Schloss betrachten darf – oder was davon noch übrig ist.
In den oben verlinkten Fotos jedoch erkennt ihr, dass es also zwei Runde Türmchen gibt und ein Eckiges. Das es ein Wappen aus dem 16. Jhd gibt, welches aber erst 1870 angebracht wurde. Damals wurde auch alles um eine Etage aufgestockt und im Obergeschoss mit Laubengängen verkleidet. Das sollte alles dazu dienen, das Objekt „historischer“ aussehen zu lassen. Es gibt (oder gab) wohl noch Stuckdecken, durch die die Mieter allerdings Wasser- und Abwasserrohre geschlagen haben.
Der letzte Besitzer vor 1945 war seit 1908 Gustav Richter „Edler von Wittbach“, ein Besitzer des größten Textilbetriebes in Nordböhmen. Ihm nahm man 1945 alles: In Nordböhmen die Fabriken, in Schlesien die Grundstücke. Und seit dem ist das Objekt dem Verfall und der Verwahrlosung preisgegeben.
Schwanenteich im Schlosspark
Ihr kennt sicherlich den Fürst Pückler Park. Ein Ort mit herrlich alten Bäumen, fantastischen Sichtachsen, Flussläufen, wo man sich stundenlang die Beine vertreten kann. Wahlweise eingehakelt mit der besten Freundin und dann schwatzend. Mein privates Synonym dafür ist „pücklern“. Von „pücklern“ ist man in diesem Schlosspark Lichtjahre entfernt. Es gibt zwar die alten Bäume, aber viele von ihnen sind über die gerade noch so erkennbaren Wege gekippt. Keine Ausschilderung Richtung Mausoleum oder Schwanenteich. Überall wuchert das Unterholz und *grausam viel Müll. Der Schwanenteich, den ich dann doch noch gefunden habe, ist ein einziges Trauerspiel.
Und so wird das Erbe der Görlitzer seit 78 Jahren eben nicht gepflegt, von den Bewohnern, die gar nicht wüssten warum, denn es ist nicht ihre Geschichte, nicht mal ihre Heimat, nur eben der Ort, wo man sie geopolitisch hinversetzt hat. All das schildert Karolina Kuszyk eindrücklichst in ihrem Buch, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Was aussteht, ist der große Frieden, den wir endlich alle damit schließen. Ansätze gibt es immer wieder, das polnische Siedler sich mit der Geschichte ihrer (neuen) Heimat auseinander setzen und sie sogar erhalten wollen – weil es eben doch inzwischen ihre Heimat ist, mit der ganzen langen Vergangenheit.
Hinten dran was Schönes – Laubenhäuser in Schönberg
Nach solch deprimierenden Eindrücken, brauchte ich noch was Schönes. Da Schönberg unweit von Lomnitz liegt (7 km), hab ich mir noch die Laubenhäuser angeguckt.
Die stehen am Markt seit einem Stadtbrand 1688. Der hatte ganz Schönberg in Schutt und Asche gelegt.
Ursprünglich war der ganze Marktplatz mit diesen Schnuckelchen umbaut. In unsere heutige Zeit haben es nur die beiden geschafft.
Das Eckgebäude war mal „Zur scharfe Ecke“ auf der… na wo? Auf der „Görlitzer Straße“.
Hier noch ein Foto, wie der Markt voll stand damit.
Und so winkt auch bis Schönberg/Sulikow die Landeskrone.
Bleibt neugierig auf die Geschichte und Geschichtchen eurer Heimat und zwar 360 Grad um Görlitz herum.
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